Studentenheim Melaten

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Alles hat seine Zeit

Zum Ende des Kölner ND-Studentenheims

Winfried Pesch, April 2016

Die Zeit des Kölner ND-Studentenheims ist nach 50 Jahren beendet. Das Erzbistum hat die Anlage, die in Erbpacht auf Kirchengrund der Pfarrgemeinde „Christi Auferstehung“ er­richtet war, übernommen, wird nach dem augen­blicklichen Stand das Gebäude ab­reißen und am gleichen Ort eine Mensa für die benachbarte Domsingschule sowie das in kirchlicher Trägerschaft befindliche Lieb­frauen-Gymnasium errichten.

Im „Verein für die Kölner Neudeutsche Jugend e.V.“, dem die Verantwortung für das Studentenheim oblag, ist die Entscheidung für die Aufgabe des Wohnheims nicht zuletzt deshalb getroffen worden, weil die finanziel­len Belastungen absehbar nicht mehr zu tragen waren. Ohne staatliche und kirchliche Zuschüsse musste sich das Haus allein über die Mieteinnahmen finanzieren, und damit waren Grenzen gesetzt, wenn die Mieten vergleichbar mit staatlich geförderten Stu­denten­heimen bleiben sollten. Dank der Um­sicht der im Trägerverein Verantwort­lichen ist es bis zum Schluss gelungen, den jewei­ligen Jahresetat ausgeglichen zu ge­stalten. Größere Rücklagen aber konnten nicht gebil­det werden, und es war abzu­sehen, welche Renovierungsarbeiten unum­gäng­lich not­wen­­­dig sein würden, die erheb­liche finanzielle Aufwendungen erforderten. In diesem Zusammenhang ist daran zu er­innern, dass das Studentenheim Anfang der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts gebaut wurde und keineswegs mehr dem heutigen Standard entsprach. So gab es Duschen nur im Keller, und auf den Zimmern kein warmes Wasser.

Schaut man zudem auf die Entwicklung des Bundes insgesamt und in der Region Köln, so ist nicht zu verkennen, dass die Auflösung des Hochschulrings, die Verselbstständigung der KSJ und nicht zuletzt auch die zahlen­mäßige Schrumpfung der KMF und der nicht zu übersehende Alterungsprozess ihrer Mit­glieder dazu beigetragen haben, das Inter­esse an der Fortführung des Studen­tenheims und die Bereitschaft, sich personell im Träger­verein zu engagieren, deutlich be­grenzt hatten. So war es wohl ein günstiger Zeitpunkt, als das Interesse des Erzbistums signalisiert wurde, sich auf die oben skizzierte Lösung einzulassen und sich von dem zu trennen, was auf Dauer nicht mehr zu halten war.

Dennoch bedeutet die Entscheidung auch einen schmerzlichen Einschnitt in der Geschichte der ND-Region Köln. Zugleich aber gibt sie Zeugnis von einem bewunderns­werten Engagement zahlreicher Bundesge­schwister, die in unermüdlicher Arbeit die finanziellen, personellen, baulichen und ver­waltungsrechtlichen Probleme mit Sachver­stand und Zuverlässigkeit gelöst haben. Für viele andere müssen hier die langjährigen Vorsitzenden des Trägervereins, Wolfgang Mann und Norbert Bauschert, sowie Gode­hard Goergen, der vor allem für die bauliche Seite verantwortlich war, genannt werden. Nicht zuletzt ist es auch der juris­tischen Kompetenz der Vorsitzenden zu ver­danken, dass die schwierigen Übergabe­verhand­lungen erfolgreich abge­schlossen werden konnten.

Vielleicht findet es die Aufmerksamkeit der Kölner Bundesgeschwister und weckt eigene Erinnerungen, wenn der Verfasser dieses „Nachrufs“, der von Beginn an im Träger­verein dabei war, wiedergibt, an was er sich erinnert:

Als Ende der 50er Jahre des vorigen Jahr­hunderts einige profilierte Mitglieder des „Männerrings“ die Initiative zum Bau eines Studentenheims ergriffen (Ernst Notker Beck­mann, Anton Goergen, Karl Kissler, Ernst Rausch, Gerd Sauer u.a.), schwebte ihnen natürlich zunächst einmal vor, dringend benötigten Wohnraum für Stu­den­ten zu schaffen. Darüber hinaus aber wollte man dem Bund in Köln mit einem eigenen Haus die Möglichkeit zu einem intensiven Zusammenwirken der drei Gemeinschaften eröffnen. Das Studentenheim also als Zen­trum neudeutschen Lebens in Köln! Es ist in diesem Zusammenhang daran zu erinnern, dass es zum damaligen Zeitpunkt drei florie­rende Hochschulring-Gruppen an der Kölner Universität gab, dass die „Jungenge­mein­schaft“ an zahlreichen Gymnasien mit zahlen­mäßig starken Gruppen vertreten und dass im „Männerring“ reges Leben zu kon­statieren war.

Da das zu bauenden Studentenheim einen juristischen Träger brauchte und es bereits seit 1955 den „Verein für die Kölner Neu­deutsche Jugend e.V.“ gab, der den Gereons­wind­mühlenturm (Tower) und später zeit­weilig das Jugendheim in Witterschlick und die Mühle Remberg im Sauerland verwaltete sowie bis heute den Bahnhof Mülheim in der Eifel betreut, lag es nahe, dass die Initiatoren an diesen e.V. herantraten und erreichten, dass der Trägerverein für die ND-Jugend – nolens/volens – auch das Studentenheim übernahm. Wie sich nach Fertigstellung des Hauses sehr bald herausstellte, überstieg dann der Arbeitsaufwand für die Verwaltung und Erhaltung des Studentenheims die Aktivitäten für die Jugendheime um ein Viel­faches.

Der Bau des Studentenheims nach den Plänen des Architekten und Bundesbruders Anton Goergen wurde finanziert durch staat­liche und kirchliche Zuschüsse sowie durch Spenden aus Kreisen des „Männer­rings“. Die ruhige Lage neben der Kirche „Christi Auferstehung“ und die Nähe zur Universität konnten als ideal bezeichnet werden. Von Beginn an konnte das Haus 86 Studenten Platz bieten, allerdings waren eine Reihe Zimmer als Doppelzimmer aus­gelegt. Dies wurde später geändert, als sich die An­sprüche steigerten. Von da an standen 74 Einzelzimmer zur Verfügung. Im Rückblick kann an dieser Stelle gesagt werden, dass es über die gesamten 50 Jahre nie ein Problem gegeben hat, alle Plätze des Heims zu belegen. Annähernd ein Drittel der Zimmer wurden in den Anfangsjahren von Mit­gliedern des Hochschulrings bewohnt. In besonderer Weise wurden zudem Bewer­bungen ausländischer Studenten berück­sichtigt. Ihr Anteil lag z.T. deutlich über der anvisierten Größe von 10 Prozent. Ein eigenes Gremium, gebildet aus Vertretern der Hausgemeinschaft, der Universität – über lange Jahre Frau Professorin Debuch – und des Heimbauvereins traf sich in jedem Semester zu einer meist langen Sitzung, um in sorgfältiger Abwägung über die Aufnahme neuer Bewohner zu entscheiden. Die Bewer­ber­zahl lag immer deutlich über den Auf­nahmemöglichkeiten. Anfangs galt die Regel, dass jeder Student nicht länger als vier Semester im Hause wohnen sollte. So wollte man möglichst vielen die Chance bieten, die günstige Möglichkeit zu nutzen, in einem Studentenheim zu wohnen.

Das Studentenheim sollte, wie gesagt, mehr sein als nur ein preisgünstiger Wohnort für Studenten. Es sollte ein Ort sein, an dem Studenten sich neben ihrem Studium kritisch mit religiösen, politischen und gesellschaft­lichen Fragen auseinandersetzen konnten. Nicht von ungefähr nahm zunächst ein Jesuit die Rolle eines Tutors im Hause ein. In Zusammenarbeit mit dem für die „innere Führung“ des Hauses verantwortlichen Vor­stands­mitglied des Trägervereins (der Ver­fasser hatte lange das Vergnügen; ihm folgte dann Johannes Ploner) wurden hochkarätig besetzte Diskussionsveranstaltungen im großen Saal des Studentenheims durch­geführt, die auch offen waren für Mitglieder des „Männerrings“. So stellte sich der spätere Ministerpräsident von NRW, Heinz Kühn, der Diskussion mit den Studenten. Sein Konkurrent von der CDU, Heinrich Köppler, trat als Referent auf. Carl Amery folgte einer Einladung, um die Thesen seines um­strittenen Buches über den deutschen Katholi­zismus zu verteidigen. Auch der Chef­redakteur der Kölner Kirchenzeitung stellte sich den Studenten und hatte keinen leichten Stand.

Es waren die späten 60er und die Folgejahre, und die Politisierung der Studenten wie auch allgemein der Öffentlichkeit wuchs beträcht­lich. In diesen Jahren zeigten sich auch zu­nehmend Spannungen zwischen „Männer­ring“ einerseits und Hochschulring wie Jungen­gemeinschaft/ KSJ auf der anderen Seite. Bei Bundesfesten und Regionsver­sammlungen prallten die unterschiedlichen Auffassungen z.T. heftig aufeinander. Der Verfasser erinnert sich gut, wie die Jüngeren ihr Engagement gegen die Apartheid-Politik in Südafrika verteidigten, mit Bezug auf die Programmatik der soeben formulierten „Platt­­form“ grundsätzliche Kritik an der Bonner Politik übten, wie einige aus HSR und KSJ unmittelbar im Anschluss an die ND-Veranstaltungen gut ausgerüstet Richtung Frankfurt aufbrachen, um dort gegen den Bau der Startbahn West zu demonstrieren. Bei manchen aus dem „Männerring“ reichten die Reaktionen von Unverständnis bis Entsetzen.

Trotz allem, es war Leben im Kölner ND, und das Studentenheim war der Ort zahlreicher wenn auch kontroverser Begegnungen. Die Heimgemeinschaft wusste neben den problem­­­geladenen Veranstaltungen auch zünftig zu feiern. Die Karnevalsfeste, jeweils mit Live-Bands, erfreuten sich höchster Beliebt­heit. Und die Bar im Kellerraum stand auch sonst des Abends selten leer.

Der Trägerverein hat zunehmend die Selbst­verwaltung des Heims durch die Studenten gefördert. Nach Ausscheiden des Paters aus dem Amt übernahm ein älterer Student das Tutorenamt. Daneben wählten die Heimbe­wohner Etagen-Sprecher und Verantwort­liche für die verschiedenen Auf­gabenbe­reiche. Im Zusammenwirken mit der im Hause wohnenden Hausverwalterin regelte so die Hausgemeinschaft vieles im Innenbe­trieb selbst, mehr und mehr auch die Neuaufnahme ins Haus. Jeweils zu Beginn und zum Ende eines Semesters gab es die Vollversammlung der Studenten, an der dann Vertreter des Trägervereins teil­nahmen. Hier mussten jeweils die Leitlinien für Verwaltung, Hausordnung und Zu­sam­men­­arbeit verhandelt und be­schlossen werden. Das war nicht immer ganz einfach. Die Vertreter des e.V. (Wolfgang Mann, Jurist, Winfried Pesch, Lehrer, Johannes Ploner, Arzt) waren jung im Beruf, nur un­wesentlich älter als die Studenten, mussten aber bei allem Verständnis für die Studenten für ein gelingendes Zusammenleben im Haus und eine positive Außenwirkung des Studen­ten­heims geradestehen. So entzündeten sich Kontroversen immer wieder an der vom Träger­verein erlassenen Hausordnung. Streit­­punkt war vorrangig der Paragraph, der Besuche auf den Zimmern bis 22.00 Uhr begrenzte. Die Studenten witterten da nicht ganz zu Unrecht die Absicht, längere Damen­besuche zu verhindern, und sprachen nur vom „Damenparagraph“. Bei der Feier zum zehnjährigen Bestehen des Heims entfalteten sie dann ein Transparent mit der Aufschrift „Zehn Jahre sexuelle Repression“. Auf Intervention von Wolfgang Mann wurde das Transparent dann rasch wieder einge­rollt. Bei aller Kontroverse in dieser Frage, verbissen war die Auseinander­setzung zu keiner Zeit. Bei späteren Jubi­läums­treffen wurde den Verantwortlichen des Träger­vereins von ehemaligen Heimbe­wohnern testiert, ihr Umgang mit den Studenten habe sich auf Augenhöhe abge­spielt und man habe sich im Haus wohl­gefühlt.

Und die Zeiten änderten sich. In den 80er Jahren öffnete sich das Studentenheim auch für Studentinnen. Im Grunde eine kon­se­quen­te Entwicklung, wenn man sich vor Augen hält, das sich die Jungengemeinschaft innerhalb des ND Anfang der 70er Jahre zur KSJ ent­wickelte und Mädchen auf nahm, der „Männerring“ Anfang der 80er Jahre zur KMF wurde und erstmals Frauen das Recht auf Vollmitgliedschaft zugestand. Dies alles muss auch im Zusammenhang allgemeiner gesell­schaftlicher und kirchlicher Entwicklungen gesehen werden. Koedukative Schulen lösten die reinen Jungen- und Mädchen­gymnasien ab, im Gottesdienst tauchten Mess­dienerinnen auf, Gemeinde- und Pas­toral­referentinnen gestalteten pfarr­liches Leben mit, Standesseelsorge wurde zu­nehmend obsolet. So überholte dann auch die Entwicklung den Streit um den „Damen­paragraphen“.

Von der Vorstellung der Gründerväter, das Studentenheim als ND-Zentrum in Köln zu etablieren, musste m.E. zunehmend Abstand genommen werden, nachdem der vormals auch im Studentenheim aktive HSR im Ver­folg der 68er Jahre an Bedeutung und Zahl seiner Mitglieder verlor. Die eher un­po­litischen HSR-Gruppen hatten die allge­meine Politisierung studentischen Lebens nur ge­schwächt über lebt. Die Zahl der Bewohner des Studentenheims, die dem Bund ange­hörten, nahm rapide ab und tendierte zuletzt gegen Null. Vom ND geprägtes Leben im Heim erlosch zu­nehmend. Die Gruppen der KMF trafen sich wechselnd in Privat­wohnungen. Versuchen der jeweiligen Regions­leitungen, gruppen­übergreifende Ver­an­staltungen mit thema­tischem Schwer­punkt im Studentenheim zu organisieren, war wenig Erfolg beschieden. Die KSJ hatte praktisch keinen Bezug zum Heim.

So muss man konstatieren, dass die anfangs vorhandenen Vorstellungen über eine Inten­si­­vierung und Konzentration neudeutschen Lebens durch die Existenz eines eigenen Studentenheims sich partiell nur in den ersten Jahren des Bestehens realisiert haben. Als diese Entwicklung abzusehen war, ist im Trägerverein und bei Regionsver­anstaltungen oftmals diskutiert worden, ob sich der Aufwand für die Verwaltung des Studentenheims noch lohne. Es verdient m.E. höchste Anerkennung, dass die Mehr­heit bis zuletzt entschieden hat, es stehe dem ND gut an, in Zeiten zunehmenden Mangels an Studentenwohnungen im Rahmen seiner Möglichkeiten sich zu enga­gieren, auch ohne unmittelbar eigene Inter­essen im Blick zu haben.

Es waren viele hundert Studenten und Stu­den­tinnen, darunter zahlreiche aus der ganzen Welt, die im Studentenheim des ND preisgünstig gewohnt haben. Von manchen wissen wir, dass sie es beruflich weit ge­bracht haben (Ärzte, Journalisten, Bankdi­rek­toren, Schulleiter, Staatsanwälte, Pro­fessoren, Trainer beim FC Köln u.v.m.). Sie konnten während ihrer Studentenzeit ihr Zusammenleben weitgehend eigenständig organi­sie­ren, Gemeinschaft erfahren, Freund­­­schaften schließen und in einem prägenden Abschnitt ihres Lebens vielleicht, bewusst oder unbewusst, auch etwas vom guten Geist derer, denen die Sorge um das Haus oblag und dem sie tragenden Bund erfahren.

Dies war die Mühe zahlreicher Bundes­geschwister wert.